„Fremde Mutter“

Nach langen Jahren der Lyrik und Kurzprosa veröffentlichte Christine Haidegger mit "Fremde Mutter" nun wieder einen Roman. Und wieder ist es ein Frauenschicksal, das bereits in jungen Jahren ein gewaltsames Ende findet.

Schon 1979 hat sich Christine Haidegger in ihrem Roman "Zum Fenster hinaus" einer Kindheit und Jugend unter schwierigen Verhältnissen angenommen. Ihre eigenen Erfahrungen der Nachkriegszeit und der Drill eines Internats am Traunsee, in dem eine junge Seele zerbricht, bilden den düsteren Hintergrund. In "Fremde Mutter" greift die Autorin nun noch ein wenig weiter zurück in die Geschichte des 20. Jahrhunderts. Die Ich-Erzählerin Elisabeth wächst in mehr als beengten Verhältnissen in einem namenlosen Dorf Deutschlands auf. Die Mutter entstammt einer verarmten Gutsherrenfamilie, ist eine Fremde von weit her, früh verwitwet und verhärmt. Elisabeth und ihr Bruder spüren die Wirtschaftskrise der Zwischenkriegszeit am eigenen Leib. Hunger und Frost sind der Feind, die Kindheit hart und dunkel.

Früh schon muss das Kind fürs eigene Überleben in fremde Dienste gehen, in der Pfarrersfamilie hat es das Mädel besser als zu Haus. Dort ist der Tisch reichlich gedeckt, der Ofen geheizt, und man wäscht sich in einem richtigen Badezimmer. Neben der Arbeit ist auch noch Zeit für die Schule, und das Lernen macht Spaß. (....) 

Christine Haidegger erzählt sprachlich einfach, nüchtern und lebendig von der Kindheit ihrer Protagonistin im Dorf, der Ausbildung in der Stadt, ihrer ersten und einzigen Stellung als Haushälterin - ausgeführt, wie nicht anders erwartet, zur allseitigen Zufriedenheit - ihrer Liebe zu einem österreichischen Forstarbeiter, dem sie schließlich in sein Dorf folgt. Kein Märchenprinz, aber doch ein liebevoller Ehemann.

Elisabeth verkörpert die Ideale der Jugend, des Frohsinns und eines unerschütterlichen Hausverstands, eine Dreieinigkeit, die so manche Hürde zu nehmen imstande ist. Armut, Ungerechtigkeit, schlechte Startbedingungen. Gejammert wird nicht, und schon wenig macht zufrieden. Aber angesichts höherer Politik, wahnwitziger Pläne von Potentaten, ja angesichts des Krieges und des Mordens haben solche Ideale keine Chance. Elisabeth muss mit ihnen untergehen.

Erstaunlicherweise ist "Fremde Mutter" trotz aller Tragik kein durchweg düsteres Buch. Zu pragmatisch die Beschreibung der verschiedenen Hürden und ihrer Überwindung, zu lebendig die Figur der Elisabeth, trotz ihrer unschuldigen Nächstenliebe ist sie keine farblose Heilige, sondern ein normales junges Mädchen bzw. eine junge Frau mit den Hoffnungen und Ängsten, die dazugehören. Und sie ist eine starke Frau mit einem starken Lächeln, das wohl erst angesichts des Todes erstirbt. 

Sabine Dengscherz, Literaturhaus Wien 

 


Deutschland 1940. „Deutsche Soldaten bleibt zuhause. Ein Weltkrieg war genug“. Mit diesem Transparent steht Elisabeth auf einem Bahnhof vor den Truppentransportern zur Front. „Mir war, als wäre ich imstande, alles zu ändern, alles aufzuhalten“ wird sie später dem jungen Arzt erzählen, in einem der langen Gesrpäche über ihr bisheriges kurzes Leben. Die Aktion hat sie nach dem Gefängnis hierher in ein Auffanglager gebracht, von dem „Verrückte“ nach Hartheim im ehemaligen Österreich transportiert werden um dort getötet zu werden.

Elisabeth ist ein einfache Frau ihrer Zeit, hat als Tochter einer Witwe früh arbeiten müssen und es nicht leicht gehabt. Sie ist kein politischer Mensch, keine Parteigängerin, keine Kommunistin, keine Widerstandskämpferin. Aber als ihr Mann eingezogen wird und in Russland umkommt, will sie ihren neugeborenen Sohn Johannes  nicht für Hitler erziehen. Sie findet Mittel und Wege ihn ins noch unbesetzte Frankreich bringen zu lassen und erklärt ihn zuhause mit Hilfe eines Arztes für tot.

Sich von dem Kind zu trennen, es nie wiederzusehen, ist grausam. Elisabeth weiß, dass sie nicht mehr lange zu leben hat, auch wenn der Arzt ihre Beobachtungen im Haus, die Transporte, das Töten von behinderten Kleinkindern, nicht glauben will.

Ihrem Sohn hat sie Familienfotos und einen Brief mitgegeben damit er eines Tages weiß, woher er kommt.

Und am Schluss heißt es:

„Das war das letzte Mal, dass ich Elisabeth  gesehen habe, Johannes. Sie ist im August mit dem vorletzten Transport nach Hartheim gekommen. Sie war eine tapfere Frau, Ihre Mutter,!

 
„Fremde Mutter“, Roman, Otto Müller, Sbg, 2006 

Fremde Mutter