Nach dem Fest

In ihrem neuen Erzählband "Nach dem Fest" führt uns Christine Haidegger an die unterschiedlichsten Orte: in Salzburg etwa entwirft sie ein Zukunftsszenario, in dem die Altstadt mit einer hohen Plexiglaswand eingefasst und von einer Kuppel überspannt ist. Die Touristenströme werden ebenso reguliert wie die Besucherzahl der Einheimischen, die für die Innenstadt eine Dauerkarte besitzen. In Venedig hingegen ist alles zugänglich. Dort treffen wir die Übersetzerin Anna, die einige Sommerwochen zum Arbeiten in der Lagunenstadt verbringt. Ihr Leben unter den alteingesessenen Venezianern, die Gespräche beim Weinhändler, in einem Friseursalon oder in einer kleinen Bar fernab der touristischen Attraktionen, zeigt uns einen wohltuend anderen Blick auf das mit Klischees überladene Venedig. Ernst wird es dort, wo ein einsamer Mann aufs Meer blickt und seine Frau vermisst; wo ein nicht minder einsamer eine Frau grausam tötet, in der er seine Mutter sieht. Und tieftraurig in jenem Haus in der österreichischen Provinz, in dem ein Ehepaar seit vielen Jahrzehnten zusammenlebt. Der Mann weiß nicht, wie er seiner Frau die Nachricht überbringen soll, die das Familienleben verändern wird. Er verschiebt die Aussprache auf die Tage nach dem Fest - nichtsahnend, dass auch seine Frau ein schreckliches Geheimnis mit sich trägt.


Die preisgekrönte österreichische Autorin ("Adam/Adam", ID-A 52/85) führt die Leser an die unterschiedlichsten österreichischen Orte, deren Atmosphäre sie mit wenigen Sätzen prägnant einfängt, aber auch nach Salzburg und Venedig. Meist erzählt sie von verdeckten Tragödien von Kleinbürgern, die an Armut leiden, zum Teil in der Nachkriegszeit angesiedelt. In der Titelgeschichte "Nach dem Fest" sind Harald (53) und Hanna (51) seit über 30 Jahren verheiratet. Ihr Leben besteht aus festen Gewohnheiten, die er streng kontrolliert. Das begründet er damit, dass er immer für die Familie gearbeitet und gespart hat. Hanna ordnet sich ihm aus Liebe unter, verweigert aber den Sex, obwohl er sie bedrängt. Doch dieses Weihnachtsfest verläuft besonders beklemmend, weil beide einschneidende Geheimnisse voreinander verbergen. In "Anna in Venedig" erkundet eine österreichische Übersetzerin das Venedig der Einheimischen, fern der Touristenströme. Da sie den Dialekt beherrscht, wird sie für eine von ihnen gehalten. Doch im nächsten Jahr will sie ein nachgebautes Venedig in Las Vegas kennenlernen ... Gern empfohlen.

Freya Rickert


Die Autorin führt uns in ihrem Erzählband an die unterschiedlichsten Orte: In Salzburg entwirft sie ein Zukunftsszenario, in dem die Altstadt mit einer hohen Plexiglaswand eingefasst und von einer Kuppel überspannt ist. Die Touristenströme werden ebenso reguliert wie die BesucherInnenzahl der Einheimischen, die für die Innenstadt einer Dauerkarte besitzen. In Venedig erlebt die Übersetzerin Anna das, wovon alle TouristInnen träumen, nämlich ein Leben unter alteingesessenen VenezianerInnen. Ist das ebenso eine Illusion wie diejenige, die den TouristInnen in der überlaufenen Stadt vorgegaukelt wird? In der österreichischen Provinz lebt ein Ehepaar seit vielen Jahrzehnten zusammen und ist sich doch fremd, kann nicht miteinander sprechen. In einer Firma arbeitet ein "Fremder" und nächtigt in der Putzkammer. Die Fragen nach Fremdsein und Zugehörigkeit tauchen in all den 15 Erzählungen auf. In kurzer, knapper Sprache erzählt Christine Haidegger eindringliche Geschichten und spielt mit Klischees, Idyllen und menschlichen Abgründen.  

Monika Jarosch


Christine Haidegger beweist in ihrem aktuellen Erzählband einmal mehr ihre gute Beobachtungsgabe und Fähigkeit, auch in extrem konzentrierter Form ganze Leben zu erzählen. Manche Texte sind nur zwei Seiten lang, andere entwickeln ausführliche Narrationen. Die Breite an Themen und Stimmungen ist groß, wobei ernste, berührende oder gar erschreckende – wie in der Geschichte eines Stalkers – die leichten, genießerischen überwiegen. Oft geht es um ein Feststecken in Routinen, die nur durch grobe Brüche verändert werden können, wie in der titelgegebenden Geschichte "Nach dem Fest", wo beide Ehepartenerinnen in einer jahrzehntealten Beziehung ihre jeweiligen alles verändernden Schicksalschläge um jeden Preis bis nach dem Weihnachtsfest mit den erwachsenen Kindern und den "traditionellen" Konflikten verschweigen wollen. Oder auch in "Der Plüschhase", wo es um das Leben mit einem Demenzkranken geht. Manche Erzählungen handeln vom Kindsein und Aufwachsen in der Nachkriegszeit, andere vom Fremdsein in unserer heutigen Gesellschaft. Ganz anders "Anna in Venedig", das eine Übersetzerin für ein paar Arbeitswochen in ein sommerliches Venedig führt, wo sie dank ihrer ausgezeichneten Sprachkenntnisse abends die Stadt der Einheimischen erkundet und so eine unbekannte Seite der Touristenhochburg erfährt. Insgesamt ein wunderbarer Band, den ich gerne in mein Bücherregal aufnehme.

ESt, Weiber Diwan 2019


Die Zukunft ist retro, grell und albern. „Der Traum von Salzburg“, Salzburg in Las Vegas, wie Hallstatt in China. Einer mit Mozartperücke klimpert im Casino ununterbrochen die „Kleine Nachtmusik“, während die Spielautomaten lärmen. Im „realen“ Salzburg lugt unterdessen eine Frau aus dem Fenster. Besucherkontingente werden über die Staatsbrücke geschleust, eine App informiert die Frau, sie wäre draußen eine zuviel. Einsamkeit und Fremdheit sind zentrale Themen in Christine Haideggers Erzählband „Nach dem Fest” (Otto Müller Verlag). Die in Linz aufgewachsene Autorin, Jahrgang 1942, konnte krankheitsbedingt im Linzer Stifterhaus nicht lesen, für sie sprang Kollegin Karin Peschka ein. Haidegger — auch eine exzellente Lyrikerin — sieht genau hin. Wie sich Menschen an Ritualen und Gewohnheiten festklammern, ausgeführt in der titelgebenden von 15 Erzählungen. Ein Pärchen ist seit mehr als dreißig Jahre verheiratet, er kontrolliert, sie fügt sich. Sie verweigert sich, „seine Umarmungen erträgt sie mit geschlossenen Augen und hinterher wird sie ,Schlaf gut, Harald’ sagen“. Empathie und Ironie, Haidegger kann beides. 

Oberösterreichisches Volksblatt, 19.1.2019


 

Haidegger, Christine: Nach dem Fest, ISBN: 978-3-7013-1263-4, Otto Müller Verlag, Preis: € 20,- (E-Book: € 15,99)

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